Bäckertüten, die Mut machen
Aktion „Gewalt kommt uns nicht in die Tüte!“ anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen und Kindern am 25.11.2020
Auch in diesem Jahr hat das Landratsamt München in Kooperation mit dem Sozialdienst katholischer Frauen München e. V. die Bäckertütenaktion „Gewalt kommt uns nicht in die Tüte“ organisiert. Anlässlich des Tags gegen Gewalt an Frauen und Kindern werden eine Woche lang in fünf Bäckereien im Landkreis München die Backwaren in speziell bedruckten Tüten überreicht.
„Gewalt kommt uns nicht in die Tüte“ prangt auf der Vorderseite der insgesamt 40.000 Tüten, die diese Woche über die Ladentheke gehen. Auf der Rückseite befinden sich die Kontaktdaten des Frauenhauses im Landkreis München, welches vom Sozialdienst katholischer Frauen München e. V. betrieben wird, der Interventionsstelle Landkreis München, der Männerberatung MILK sowie der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises München. Die Aktion soll Betroffenen Mut machen und sie animieren, bestehende Hilfsangebote anzunehmen. An der Aktion beteiligen sich die Bäckereien Traublinger (Kirchheim-Heimstetten), Ludwig Riedmaier (Garching), Josef Fiegert (Ottobrunn), Kranich (Grünwald) und Hasi Schmeckerbäcker (Haar).
Lockdown hat Situation verschärft
Jede dritte Frau in Deutschland ist einmal oder öfter in ihrem Leben Opfer von häuslicher Gewalt, also Gewalt, die sich in den eigenen vier Wänden abspielt. Diese drückt sich nicht nur in sexuellen Übergriffen oder Schlägen aus. Auch ständige Beleidigungen, Beschimpfungen und Demütigungen können der Beginn einer Spirale der Gewalt sein. Dazu kommen oftmals verschiedene Formen der Kontrolle: Die Täter nehmen beispielsweise den Frauen das Handy, die Bankkarte oder das Geld weg, überwachen oder verbieten soziale Kontakte. Sie verbreiten falsche und rufschädigende Geschichten in der Nachbarschaft, bei Kollegen und im Freundeskreis oder aber über die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter. So werden die Opfer isoliert, verlieren wertvolle Beziehungen zu anderen Menschen und können sich keine Unterstützung holen, sind dem Täter völlig ausgeliefert. Rund 80 Prozent der Betroffenen haben Kinder. Das Miterleben häuslicher Gewalt birgt für die Kinder und Jugendlichen die Gefahr nachhaltiger Schäden. Deshalb ist es wichtig, sich möglichst frühzeitig beraten zu lassen und sich Hilfe zu holen. Gerade während des Lockdowns im Frühjahr hat sich die Situation für viele Frauen verschärft, da sie mit dem Täter oft ununterbrochen zusammen waren. Für viele Betroffene war es in dieser Situation unmöglich, Hilfsangebote anzunehmen.
„Ich begrüße die erneute Aktion sehr, denn das Einkaufen ist oftmals die einzige Möglichkeit für Betroffene sich über Beratungsangebote zu informieren ohne dass es der Täter mitbekommt. Unsere Hoffnung ist, viele Frauen zu erreichen, die bislang noch keine Hilfe haben“, so Landrat Christoph Göbel.
Hanna Kollan, die Gleichstellungsbeauftragte im Landratsamt München, hofft, mit der Bäckertütenaktion mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken: „Unser Ziel ist es, Frauen und Kindern, für die Gewalt traurige Wirklichkeit ist, Mut zu machen, sich Hilfe zu holen. Es ist ein großer Erfolg, dass wir für unsere Bäckertütenaktion in diesem Jahr auch neue Bäckereien aus dem Landkreis München gewinnen konnten und auf diese Weise über 40.000 Bäckertüten mit Kontaktdaten unserer Beratungseinrichtungen verteilen können. Ein besonderer Dank geht an die Bäckerei Riedmair, die zum ersten Mal und mit über 17.000 Brezen und Bäckertüten die Aktion unterstützt.“
„Gerade jetzt, wo alle möglichst zu Hause bleiben sollen und die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen für Verunsicherung sorgen, kommt es vermehrt zu Aggressionen und häuslicher Gewalt. Für betroffene Frauen und Kinder ist es aber viel schwieriger als unter normalen Umständen, sich Hilfe zu suchen. Schauen Sie also hin, nicht weg, wenn Sie den Eindruck haben, da droht die Situation zu eskalieren, und lassen Sie sich beraten, wie Sie am besten helfen können, denn auch dafür sind die Beratungsstellen da“, appelliert Cornelia Trejtnar, Leiterin des Frauenhauses im Landkreis München.
Tanja Böhm, Leiterin der Interventionsstelle Landkreis München, verzeichnet dieses Jahr einen Anstieg der Fallzahlen: „Die Interventionsstelle Landkreis München unterstützt als Fachberatungsstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt Frauen und deren Kinder. In der aktuellen Situation, in der Druck und Stress in Familien sehr hoch ist, haben sich erneut mehr Frauen als im letzten Jahr bei uns gemeldet und konnten mit unserer Unterstützung die ersten Schritte in ein geschütztes und selbstbestimmtes Leben gehen. Die Beteiligung an der Bäckertütenaktion ist uns ein großes Anliegen, da die Dunkelziffer derer, die noch nicht den Mut gefasst haben, sich aus einer Gewaltbeziehung zu befreien, weiterhin groß ist. Es wäre schön, wenn wir dadurch weitere Frauen erreichen und ermutigen, sich bei uns zu melden.“
„Auch in Corona-Zeiten bietet unsere Fachstelle Männern, die körperliche und psychische Gewalt in Partnerschaften ausgeübt oder angedroht haben, eine fachlich fundierte Beratung und ein soziales Trainingsprogramm an. Täterarbeit kann Männer davon abhalten, Gewalt auszuüben oder dabei helfen, gewalttätiges Handeln zu beenden. Damit stellt sie einen wichtigen Baustein zur Bekämpfung häuslicher Gewalt dar und dient gleichzeitig der Entlastung und dem Schutz der Opfer. Ein Anstieg der Fallzahlen während der Corona-Krise lässt erkennen, dass sich durch die Einschränkungen und Veränderungen im Tagesablauf ein erhöhtes Stresspotenzial entwickelt hat, welches sich in einer Zunahme von häuslicher Gewalt niederschlägt. Wir unterstützen die Bäckertütenaktion als Ansporn, sich als Opfer aber auch als Täter den Beratungsstellen anzuvertrauen und damit den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen“, so Ronald Föhlinger von der Männerberatungsstelle Landkreis München (MILK).
Jürgen Wachter, Verkaufsleiter der Bäckerei Riedmair, nimmt zum ersten Mal an der Aktion teil und verteilt mit 17.000 Tüten den Löwenanteil: „Wir von der Bäckerei Riedmair unterstützen sehr gerne den Tag gegen Gewalt an Frauen und Kindern. In meiner Tätigkeit als Verkaufsleiter sind von den 150 Mitarbeitern über 80 Prozent Frauen, daher besteht auch ein großes persönliches Interesse an dieser Aktion. Auf Grund der diesjährigen Pandemie und der häuslichen Isolation, die daraus entstehen kann, ist es uns umso wichtiger, auf dieses Thema aufmerksam zu machen.“