…und wenn das Heim auf einmal zusperrt?
Leiter von Pflegeeinrichtungen und Landratsamt setzen sich gemeinsam mit Problemen in der stationären Altenpflege auseinander
Pflegemängel, personelle Unterversorgung, lange Wartelisten - Woche für Woche kann man in der Presse in allen Teilen Deutschlands von schlecht versorgten oder vernachlässigten alten Menschen und anderen Missständen in Senioren- und Pflegeeinrichtungen lesen. Das ist schlimm. Doch immer noch wird wenig über die Hintergründe gesprochen, warum solche Dinge passieren und was sich dringend ändern muss, um eine professionelle und menschenwürdige Versorgung alter und pflegebedürftiger Menschen zu jeder Zeit sicherzustellen. Im Landkreis München ist die Situation noch vergleichsweise gut. Doch vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung sehen sich die Heime vor Probleme gestellt, die nur mit einer umfassenden Reform des Pflegewesens zu lösen sind.
Der Markt ist leergefegt
Schwarze Schafe gibt es überall. Am Pflegenotstand sind aber nicht diejenigen schuld, die Tag für Tag auf den Wohnbereichen von Senioren- und Pflegeeinrichtungen Dienst tun und oft selbst "auf dem Zahnfleisch" daherkommen. Der Markt an Pflegekräften ist leergefegt, und auch manche gesetzliche Bestimmung, die es einzuhalten gilt, trägt zu der verfahrenen Situation bei.
"PfLair", eine Initiative von Leitern stationärer Pflegeeinrichtungen im südöstlichen Landkreis München, die sich seit langem für mehr Fairness in der professionellen Altenpflege einsetzt, und das Landratsamt München "schlagen gemeinsam Alarm", um auf die Situation aufmerksam zu machen und an den Stellen Gehör zu finden, die zu einer Verbesserung der Situation beitragen können. In der vergangenen Woche haben sie Vertreter aus Politik und Praxis zu einem Dialogforum eingeladen, um konkrete Probleme zu identifizieren und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten.
An drei Thementischen diskutierten im Oberhachinger Altenheim St. Rita u. a. Einrichtungs- und Pflegedienstleiter, Kreis- und Gemeindevertreter und Mitglieder sozialer Organisationen. Auch der Mediziner und Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Andrew Ullmann ist eigens nach Oberhaching gekommen, um sich ein Bild von den Herausforderungen an der Basis zu machen. Dabei ging es um Fragen des Berufsbildes, des Personals sowie zu den sozialen und politischen Rahmenbedingungen.
Der Pflegeberuf hat ein schlechtes Image
Personalmangel und die Qualität der Arbeitskräfte, das sind die größten und wohl bekanntesten Probleme. Wo aber liegen die Ursachen? Kleine Gehälter und teurer Wohnraum auf der einen Seite, unregelmäßige Arbeitszeiten und - vor allem auch wegen des chronischen Personalmangels - Berge von Überstunden und keine verlässlichen Dienstpläne auf der anderen. Oft fehlt es aber auch an Wertschätzung - sowohl durch den Arbeitgeber als auch durch die Kontrollbehörden. Ausländische Fachkräfte sind heute ein unverzichtbarer Bestandteil der Pflegeteams, bis jedoch Arbeitserlaubnis, Anerkennung der Ausbildung etc. vorliegen, die nötigen Sprachkenntnisse vorhanden sind und ein Mitarbeiter endlich eingesetzt werden kann, vergehen oft Monate.
"Früher sind die Leute vom Fließband in den Pflegeberuf gewechselt, weil sie etwas Sinnvolles tun und sich für ihre Mitmenschen engagieren wollten. Heute überlegen viele Pflegekräfte angesichts der Arbeitsbedingungen, ihren Arbeitsplatz in der Pflegeeinrichtung mit dem Fließband zu tauschen." [Teilnehmerstimme]
Das Image speziell des Altenpflegeberufes ist immer noch extrem schlecht, so die einhellige Meinung. Viel zu wenige junge Menschen entscheiden sich für eine Ausbildung. Darüber hinaus wurde Quer- und Späteinsteigern ein Riegel vorgeschoben. Eine berufsbegleitende Ausbildung ist heute nicht mehr möglich. Und drei Jahre Vollzeitausbildung kann sich jemand, der mitten im Leben steht und für sich selbst und vielleicht noch eine Familie sorgen muss, nicht leisten.
"Wieviel Regelung muss, wieviel Kreativität darf sein?" [Teilnehmerstimme]
Auch die Sinnhaftigkeit der Fachkraftquote wurde in Frage gestellt. Denn an vielen Stellen wären gut ausgebildete Hilfskräfte viel sinnvoller eingesetzt, als eine Pflegefachkraft, die dann im Zweifel drei Stunden ihrer täglichen Arbeitszeit "Butterbrote schmieren" muss. Gleichzeitig lässt der geltende Personalschlüssel kaum individuelle Betreuung zu. An ein Vieraugenprinzip bei schwierigen Fällen ist unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Dabei könnten gerade damit viele Pflegemängel vermieden werden. Viele Einrichtungen müssen angesichts der Personalsituation immer wieder einen Aufnahmestopp verhängen. Dies wiederum macht einen wirtschaftlichen Betrieb der Einrichtung nahezu unmöglich, so dass im schlimmsten Fall die Schließung droht. Damit aber wäre weder den Bewohnern noch den Angehörigen und Pflegekräften geholfen.
Die rund 30 Teilnehmer diskutierten mehr als zwei Stunden intensiv miteinander und gaben der Initiative viele Impulse. Jetzt werden die Ergebnisse aus den Workshops ausgewertet und zusammengefasst. Gemeinsam mit Landrat Christoph Göbel wird dann überlegt, an welchen Stellen man die Themen platziert, um Änderungen anzustoßen.
"Ich begrüße die Initiative sehr", so Landrat Christoph Göbel. "Auch wenn die Situation in den Heimen unseres Landkreises noch lang nicht so bedenklich ist wie anderenorts, steuern wir sehenden Auges auf einen dramatischen Pflegenotstand schon in naher Zukunft zu. Der Landkreis versucht, seine Möglichkeiten auszuschöpfen und arbeitet intensiv an der Fortschreibung und Umsetzung seines Seniorenpolitischen Gesamtkonzepts. Doch ist er nicht in der Lage, die eigentlichen Wurzeln des Pflegenotstands zu bekämpfen. Ich werde mich jedoch dafür stark machen, dass unsere Initiative dort Gehör findet, wo die Weichen gestellt werden."