Was brauchen Kinder, die häusliche Gewalt erlebt haben?

Wenn Kinder oft jahrelang Gewalt in der Familie erleben, bleibt das nicht ohne Folgen für ihre Seele – egal, ob sie selbst oder die Mutter direkt betroffen sind. Wie geht es ihnen, wenn sie mit ihren Müttern in ein Frauenhaus kommen? Und was brauchen sie, um ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten?

"Wir erleben immer öfter, dass Kinder, die bei uns ankommen, auffällig, nicht altersentsprechend entwickelt oder richtig traumatisiert sind", sagt Cornelia Trejtnar, Leiterin der Frauenhäuser I und II im Landkreis München. Leider gibt es in den Frauenhäusern keine psychologischen Fachdienststunden, obwohl sie gerade für Kinder dringend notwendig wären.

Kinder im Frauenhaus haben in entwicklungspsychologisch sensiblen Phasen unterschiedliche Gewalterfahrungen gemacht, was in der Regel Spuren hinterlässt. Ihre Mütter haben selbst traumatische Erfahrungen gemacht und können die Kinder deshalb alleine oft nicht genug stützen.

"Die Aufenthalte im Frauenhaus dauern heutzutage bei der aktuellen Wohnungsnot viel länger als geplant und gewollt. Oft ist auch lange unklar, wohin die Frauen ziehen können, wo sie ein neues Zuhause finden. Das macht die Planung eines Hilfeangebots für die Kinder sehr schwierig", so Trejtnar. Dabei wäre es wichtig, keine Zeit zu verlieren und den Kindern schnell, verlässlich und professionell die nötigen Therapien oder andere Unterstützungsmaßnahmen zu vermitteln.

Ein psychologischer Fachdienst für Frauen und Kinder in den Frauenhäusern könnte die Zeit adäquat überbrücken und die Weichen für eine längerfristige Hilfemaßnahme stellen. "Das wünschen wir uns ganz dringend – der Bedarf ist da", sagt Trejtnar.

Am wichtigsten aber bleibt, dass sich Frauen und Kinder überhaupt an passende Anlaufstellen wenden. Um diese im Großraum München bekannt zu machen, gibt es auch heuer wieder eine gemeinsame Bäckertütenaktion des Landratsamts München und des SkF München. Sechs Bäckereien im Landkreis München beteiligen sich an der Aktionswoche gegen Gewalt und verteilen ihre Backwaren in Tüten, die auf alle wichtigen Adressen hinweisen. 90.000 Tüten werden diesmal gedruckt – so viele wie noch nie!

Daher an herzliches Dankeschön an alle Bäckereien, die sich daran beteiligen: Bäckerei Konditorei Heinrich Traublinger, Bäckerei-Konditorei Josef Fiegert, Volker Wöhrle - Hasi Schmeckerbäcker, Bäckerei Ludwig Riedmair, Ratschiller Bäckerei und Dinkelparadies Dümig.

Statement Ulrike Lein, Kinderfachberaterin, Landratsamt München

Häusliche Gewalt hat immer Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche! In der ersten Beratungsstunde ist es für mich am wichtigsten den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass sie keine Schuld an der Situation ihrer Eltern haben. Sie sind bei mir an einem sicheren Ort, wo sie keine Angst haben müssen. Sie können mit mir über das Erlebte, ihre Sorgen und Probleme reden. Die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder sind mir sehr wichtig. Ich kommuniziere klar: "Gewalt ist nicht ok!"
 
Wenn wir häusliche Gewalt verschweigen, Kinder und Jugendliche das Erlebte nicht aufarbeiten können, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Häusliche Gewalt in der nächsten Generation weitergelebt. Studien belegen, dass 72 % der Mädchen Opfer und 95 % der Jungen Täter in ihren eigenen Beziehungen werden!
 
Das zeigt, wie wichtig ein Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche ist, welches in der Interventionsstelle Landkreis München angeboten wird. Auch ist der Bedarf so stark gestiegen, dass die halbe Stelle der Kinderfachberaterin dem Bedarf für den Landkreis München nicht mehr gerecht wird.

Ronald Föhlinger, Fachkraft für Täterarbeit in der Männerberatung im Landkreis München (MILK)

Die Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Kinder sind ein zentrales Thema, welches den gewaltausübenden Männern während des sozialen Trainingsprogramms bei der Männerberatung im Landkreis München (MILK) vermittelt wird.

In sehr vielen Fällen von Gewalt in Partnerschaften sind Kinder mitbetroffen. Eltern ist oftmals nicht klar, dass auch das "Miterleben" von Gewalt zwischen nahen Bezugspersonen eine Kindeswohlgefährdung darstellt.

In hochstrittigen Konfliktsituationen geraten die eigenen Kinder meist aus dem Blickfeld und werden ungewollt zu Zeugen der elterlichen Auseinandersetzung.

Das Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit und Verständnis bei Kindern und Jugendlichen läuft dann Gefahr, nicht mehr erfüllt zu werden.
Die Eltern sind ja nur noch mit sich selbst beschäftigt. Wenn sich Vater und Mutter plötzlich nicht mehr für die Gefühle und Gedanken ihrer Kinder interessieren, fällt es ihnen oft auch nicht auf, wenn durch die enormen Belastungen deren Vertrauen grundlegend erschüttert wird und die Gefahr einer massiven Beeinträchtigung ihrer Entwicklung droht.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Gewaltausübung und die Konfrontation der Väter mit den möglichen Folgen für die Kinder, die sich sehr unter-schiedlich manifestieren können, sind Teil der Beratung in der Fachstelle für Täterarbeit.

Aus dem Miterleben häuslicher Gewalt erwächst aber auch die besondere Auf-gabe, geeignete und altersgerechte Maßnahmen zur Förderung der Schutzfaktoren für die betroffenen Kinder und Jugendlichen anzubieten, damit Gewalt-erlebnisse bewältigt werden können und trotz ungünstiger Lebensbedingungen eine gesunde Entwicklung möglich ist.

Schließlich darf nicht vergessen werden, dass elterliche Paargewalt das Risiko für die Entwicklung körperlicher oder psychischer Erkrankungen im Erwachsenenalter erhöht.

Die Männerberatung im Landkreis München wünscht sich, dass durch die jährliche Bäckertütenaktion das Thema Häusliche Gewalt in der Öffentlichkeit noch bewusster wahrgenommen wird und sowohl Opfer als auch Täter auf die bestehenden Hilfsangebote aufmerksam gemacht werden.