Arbeitshilfe zu Kinderschutz nach § 8a SGB VIII für Fachkräfte
Kinder können sich noch nicht selbst vor Gefahren schützen, weshalb wir als Gesellschaft und insbesondere auch als Fachkräfte im täglichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen dazu aufgefordert sind, kompetent hinzusehen und Gefahren abzuwenden.
Beim Begriff Kindeswohlgefährdung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der abschließend nicht definiert ist und damit der Interpretation im Einzelfall bedarf. Die folgenden Arbeitshilfen sollen hierbei Unterstützung an die Hand geben.
Fachkräfte der freien Träger sollen dabei unterstützt werden, Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung frühzeitig zu erkennen und eine abgestimmte Handlungssicherheit mit dem Kreisjugendamt im weiteren Vorgehen ermöglichen.
Darüber hinaus geht es um ein abgestimmtes Handeln und eine gemeinsame Sprache aller Fachkräfte im SGB VIII im Landkreis München zum Thema Kinderschutz zu etablieren.
Weitere Inhalte in Arbeit
Weiter unten werden Sie weitere Texte zu folgenden Themen finden, die in der Reihenfolge ihrer Erstellung bereitgestellt werden:
- Begriffsbestimmungen
- Rechtliche Grundlagen
- Modell der Gefährdungseinschätzung nach Lüttringhaus
- Verfahren und Vorgehensweise ISEF
- Empfehlungen zur Bearbeitung eines Gefährdungsfalles in einer Einrichtung
- Besonderheiten in den unterschiedlichen Produkten (JaS, EB, Familienbildung, Kita,…)
1. Begriff Kindeswohlgefährdung
Der Begriff der Kindeswohlgefährdung ist abschließend nicht vollumfänglich definiert und ist somit ein unbestimmter Rechtsbegriff. Es bedarf einer Interpretation im Einzelfall. Der Begriff findet sich in verschiedenen Gesetzbüchern wieder, die eine Handlungsgrundlage bieten (BGB, SGB VIII, UN- Kinderrechtskonvention, s. hierzu Dokument „Rechtliche Grundlagen“).
1.1 Körperliche Gewalt
Körperliche Gewalt beschreibt alle Handlungen, welche mit Anwendung von physischem Zwang oder Gewalt, von Eltern oder Bezugspersonen gegenüber Kindern ausgeübt werden. Diese Handlungen führen beim Betroffenen zu körperlichen Schmerzen und Verletzungen. Sie können jedoch sogar zum Tode führen oder haben Potential dazu. Beispiele für körperliche Gewalt können sein:
- Schlagen mit Händen und Gegenständen
- Verletzungen durch Schütteln z.B. Schädel-Hirn-Trauma
- Bisswunden
- Verbrühungen
- Blutergüsse
- Hautverletzungen
- Hauteinblutungen und Spuren von Strangulationen
siehe auch:
Was ist Gewalt gegen Kinder? | Wichtige Fragen & Antworten (unicef.de),
Fachliche Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII (bayern.de)
Kindeswohlgefährdung - Erkennen und Helfen (kinderschutz-zentrum-berlin.de)
1.2 Sexuelle Gewalt
Sexuelle Gewalt beschreibt jede sexuelle Handlung, welche an Mädchen und Jungen gegen ihren Willen vorgenommen wird. Sie schließt die nicht wissentliche Zustimmung durch sprachliche, körperliche, seelische oder geistige Unterlegenheit mit ein. Bei sexueller Gewalt werden meist Macht- und Autoritätspositionen ausgenutzt, um Bedürfnisse Erwachsener durch das betroffene Kind zu befriedigen.
Es gibt mehrere Formen, in welche sexuelle Gewalt ausgeübt werden kann; dazu zählen nicht nur körperliche Übergriffe, sondern auch verbale sexuelle Anspielungen. Diese Formen unterscheidet man in Hands-on-Handlungen und Hands-off-Handlungen.
Hands-on-Handlungen: Diese Art der sexuellen Gewalt beschreibt Handlungen am Körper des Kindes. Dazu zählen alle körperlichen sexuellen Übergriffe von einer Person gegenüber dem Kind.
Hands-off-Handlungen: Diese Art der sexuellen Gewalt beschreibt Übergriffe, bei welchen der Körper des Kindes unberührt bleibt. Dazu zählen z.B. sexuelle und anzügliche Tätigkeiten, welche der Täter vor dem Kind vollzieht. Außerdem beinhaltet diese ebenso das gezielte Darstellen von Pornografien und Aufforderungen an das Kind, sexuelle Handlungen an sich oder vor anderen vorzunehmen.
Sieehe auch:
Definition Sexueller Kindesmissbrauch - Aufarbeitungskommission
1.3 Gesundheitliche Gefährdung
Nach WHO wird Gesundheit als „ein Zustand von vollständigem psychischem, geistigem und sozialen Wohlbefinden, der sich nicht nur durch Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“ beschrieben.
Eine gesundheitliche Gefährdung eines Kindes liegt vor, sobald eines oder mehrere der folgenden Kriterien nicht erfüllt werden:
- keine oder sporadische Wahrnehmung von erforderlichen ärztlichen Behandlungen und Untersuchungen
- keine ausreichende Sicherstellung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Essen und Trinken
- unzureichende körperliche Hygiene der Kinder und Jugendlichen
- keine witterungsgerechte bzw. angemessene Bekleidung
- unzureichende Gewährleistung der Aufsicht gegenüber dem Kind oder dem Jugendlichen
- Aufenthalt des Kindes oder des Jugendlichen an jugendgefährdenden Orten oder unbekannten Aufenthaltsorten.
siehe auch:
Fachliche Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII (bayern.de)
Constitution of the World Health Organization (who.int)
1.4 Aufsichtspflichtverletzung
Eine Aufsichtspflichtverletzung tritt ein, wenn eine zur Aufsicht verpflichtete Person dieser Pflicht nachweislich nicht nachkommt. Als „aufsichtspflichtige Personen“ zählen Minderjährige oder Personen, deren geistiger oder körperlicher Zustand einer Beaufsichtigung bedarf. Wird diese Pflicht verletzt, ist die aufsichtspflichtverletzende Person zum Ersatz des Schadens, welche einem Dritten zugefügt wird, verpflichtet.
siehe auch:
§832 BGB
1.5 Autonomiekonflikt
Autonomiekonflikte entstehen im Zusammenhang mit dem Treffen selbstbestimmter Entscheidungen, z.B. in Bezug aufwachsende Bedürfnisse, die Partner- und Freundeswahl, die Ausbildung und den Lebensstil von Kindern und Jugendlichen. Kinder ab einem bestimmten Alter ziehen es vor, sämtliche Entscheidungen jeglicher Lebensbereiche selbst zu treffen. Die Wünsche nach Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen können sich von den Werten, Vorstellungen, Idealen oder Erziehungszielen der Betreuungspersonen stark unterscheiden. Daraus kann ein Autonomiekonflikt folgen, bei dem die Wertvorstellung Erwachsener mit den selbst erschaffenen Lebensbildern der Kinder kollidiert. Es kann auch vorkommen, dass bei der Klärung von Konflikten dieser Art körperliche oder psychische Gewalt entsteht.
siehe auch:
Lillig, Susanne, 2012: Wege zur Beurteilung von Gefährdungen im Jugendalter; Deutsches Jugendinstitut e.V.
1.6 Häusliche Gewalt
Unter häuslicher Gewalt werden alle Formen der körperlichen, sexuellen oder psychischen Gewalt verstanden. Sie umfasst Gewaltakte im familiären sowie partnerschaftlichen Umfeld. Sie findet zwischen Personen statt, welche in der Regel in einer sozialen Beziehung zusammenleben, und kann im Beisein von Minderjährigen verübt sowie von ihnen miterlebt werden. Hierbei ist die Art der Beziehung nicht relevant (unabhängig von Ehe, eingetragener Partnerschaft, sonstigen Arten von Zusammenleben oder sexueller Orientierung). Häusliche Gewalt kann auch unabhängig von einem gemeinsamen Haushalt entstehen, wenn sie z.B. innerhalb der Familie oder in aktuellen sowie ehemaligen Partnerschaften/Verhältnissen geschieht. Der Ort des Geschehens kann außerhalb der Wohnung liegen und definiert den Begriff „häusliche Gewalt“ nicht automatisch.
siehe auch:
Häusliche Gewalt | polizei-beratung.de
Häusliche Gewalt: Definition, Begriff und Erklärung im JuraForum.de
1.7 Psychische Gewalt
Psychische Gewalt bezieht sich auf die Form von Gewalt, bei welcher kein körperlicher Schaden passiert. Psychische Gewalt bedient sich verschiedener Verhaltensweisen und Strategien zur seelischen und emotionalen Verletzung von Personen, mit dem Ziel diese beispielsweise zu schwächen, zu verunsichern oder aus dem Gleichgewicht zu bringen. Werden Kinder Opfer von psychischer Gewalt, äußert sich dies meist durch beispielsweise Ablehnung, durch Liebesentzug oder durch Erzeugung von Schuldgefühlen seitens der Eltern.
Betreuungspersonen geben den Minderjährigen somit oft zu verstehen, dass sie:
- wertlos sind.
- ungewollt oder nicht geliebt sind.
- „nichts können“.
Durch folgende Formen kann psychische Gewalt beispielsweise in der Erziehung eines Kindes ausgeübt werden:
- Ablehnendes Verhalten (Zurückweisung des Kindes und dessen Bedürfnissen)
- Terrorisierendes Verhalten (Bedrohungsszenario gegenüber dem Kind sowie das setzen von starren und unrealistischen Erwartungen, mit Androhung von Verlust, Schaden oder Gefahr bei nicht Erfüllung dieser.)
- Ausbeutendes bzw. korrumpierendes Verhalten (Manipulation zu unangemessenen antisozialen oder kriminellen Handlungen, mit dem Ziel der Unterwerfung des Kindes.)
- Emotionale Unempfänglichkeit (Ignorantes Verhalten der Bezugspersonen gegenüber den Versuchen der Interaktion des Kindes sowie Emotionslosigkeit gegenüber diesem.)
- Isolierungsmaßnahmen (Sämtliche Einschränkungen, um den Kontakt zu wichtigen Personen nicht zu gewähren. Dazu können das Einsperren oder die Absonderung des Kindes zählen.)
- Vernachlässigung (Der Vorenthalt medizinischer und psychosozialer Versorgung sowie fehlende pädagogische Förderung.)
Psychische Gewalt bei Kindern findet jedoch nicht nur durch Betreuungspersonen im Haushalt statt, sondern kann ebenfalls in Schulen oder im sozialen Umfeld auftreten. Dort ist vor allem Mobbing unter den Kindern eine häufig auftretende Art der psychischen Gewalt.
Siehe auch:
Psychische Gewalt - Definition & anzeigen? strafbar? (juraforum.de)
Psychische Gewalt und emotionale Vernachlässigung bei Kindern - Gewaltinfo
Formen von Gewalt | Kinderschutz Schweiz
1.8 Seelische Verwahrlosung
Seelische Verwahrlosung beschreibt das Unterlassen fürsorglicher Handlungen gegenüber dem Kind. Hierbei sind insbesondere das Bindungsverhältnis sowie die Nähe zwischen sorgeverantwortlicher Person und Kind gemeint.
Bei seelischer Verwahrlosung wird in folgende Unterformen unterschieden:
- erzieherische Verwahrlosung (z.B. fehlender erzieherischer Einfluss, wenig Konversation, wenig Spiel)
- körperliche Verwahrlosung (z.B. keine saubere Kleidung, Hygiene, Wohnraum, unzureichende Flüssigkeits- und Nahrungsmittelversorgung)
- unzureichende Beaufsichtigung (Kind bleibt sehr lang alleine, Kind bleibt lange von Zuhause weg und es erfolgt keine angemessene Reaktion der Betreuungsperson)
siehe auch:
Was ist Vernachlässigung? – Definition | BERATUNG.DE
Kindler, Heinz: Was ist unter Vernachlässigung zu verstehen? Grundlegende Begriffe, S. 3-1 bis 3-3 In: Kindler/Lillig/Blüml/Meysen/Werner (Hg.) (2006): Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD)
Die seelische Misshandlung eines Kindes basiert auf einer wiederholten und absichtsvollen Tätigkeit, das Kind oder den Jugendlichen in seinem Selbstwert zu unterdrücken. Dies hat einen psychologischen oder emotionalen Schaden zur Folge
siehe auch:
Fachliche Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII (bayern.de)
2. Rechtliche Grundlagen
Grundgesetz
Artikel 2 Grundgesetz (GG)
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Artikel 6 Grundgesetz (GG)
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 1631 BGB Inhalt und Grenzen der Personensorge
(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.
§ 1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
- Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
- Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
- Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
- Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
- die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
- die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.
§ 1666a BGB Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen
(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. Wird einem Elternteil oder einem Dritten die Nutzung der vom Kind mitbewohnten oder einer anderen Wohnung untersagt, ist bei der Bemessung der Dauer der Maßnahme auch zu berücksichtigen, ob diesem das Eigentum, das Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück zusteht, auf dem sich die Wohnung befindet; Entsprechendes gilt für das Wohnungseigentum, das Dauerwohnrecht, das dingliche Wohnrecht oder wenn der Elternteil oder Dritte Mieter der Wohnung ist.
(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.
§ 1697a BGB Kindeswohlprinzip
(1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
(2) Lebt das Kind in Familienpflege, so hat das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, in Verfahren über die in diesem Titel geregelten Angelegenheiten auch zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern derart verbessert haben, dass diese das Kind selbst erziehen können. Liegen die Voraussetzungen des § 1632 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 vor, so hat das Gericht bei seiner Entscheidung auch das Bedürfnis des Kindes nach kontinuierlichen und stabilen Lebensverhältnissen zu berücksichtigen. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn das Kind im Rahmen einer Hilfe nach § 34 oder 35a Absatz 2 Nummer 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch erzogen und betreut wird.
Kinder- und Jugendhilferecht SGBVIII
§ 8a SGB VIII Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen. Soweit der wirksame Schutz dieses Kindes oder dieses Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird, hat das Jugendamt die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder den Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen und, sofern dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist,
- sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen sowie
- Personen, die gemäß § 4 Absatz 3 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz dem Jugendamt Daten übermittelt haben, in geeigneter Weise an der Gefährdungseinschätzung zu beteiligen.Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Erziehungsberechtigten anzubieten.
(2) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen.
(3) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Erziehungsberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein.
(4) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass
- deren Fachkräfte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes oder Jugendlichen eine Gefährdungseinschätzung vornehmen,
- bei der Gefährdungseinschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft beratend hinzugezogen wird sowie
- die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einbezogen werden, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
In den Vereinbarungen sind die Kriterien für die Qualifikation der beratend hinzuzuziehenden insoweit erfahrenen Fachkraft zu regeln, die insbesondere auch den spezifischen Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen Rechnung tragen. Daneben ist in die Vereinbarungen insbesondere die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte der Träger bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann.
(5) In Vereinbarungen mit Kindertagespflegepersonen, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass diese bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes eine Gefährdungseinschätzung vornehmen und dabei eine insoweit erfahrene Fachkraft beratend hinzuziehen. Die Erziehungsberechtigten sowie das Kind sind in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes nicht in Frage gestellt wird. Absatz 4 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(6) Werden einem örtlichen Träger gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sind dem für die Gewährung von Leistungen zuständigen örtlichen Träger die Daten mitzuteilen, deren Kenntnis zur Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a erforderlich ist. Die Mitteilung soll im Rahmen eines Gespräches zwischen den Fachkräften der beiden örtlichen Träger erfolgen, an dem die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche beteiligt werden sollen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
§ 8b SGB VIII Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
(1) Personen, die beruflich in Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen stehen, haben bei der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung im Einzelfall gegenüber dem örtlichen Träger der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft.
(2) Träger von Einrichtungen, in denen sich Kinder oder Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten, und die zuständigen Leistungsträger, haben gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien
- zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt sowie
- zu Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung sowie zu Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten.
(3) Bei der fachlichen Beratung nach den Absätzen 1 und 2 wird den spezifischen Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen Rechnung getragen.
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG)
§ 1 KKG Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung
(1) Ziel des Gesetzes ist es, das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schützen und ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung zu fördern.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder und Jugendlichen sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft ist es, soweit erforderlich, Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen, damit
- sie im Einzelfall dieser Verantwortung besser gerecht werden können,
- im Einzelfall Risiken für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen frühzeitig erkannt werden und
- im Einzelfall eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen vermieden oder, falls dies im Einzelfall nicht mehr möglich ist, eine weitere Gefährdung oder Schädigung abgewendet werden kann.
(4) Zu diesem Zweck umfasst die Unterstützung der Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung durch die staatliche Gemeinschaft insbesondere auch Information, Beratung und Hilfe. Kern ist die Vorhaltung eines möglichst frühzeitigen, koordinierten und multiprofessionellen Angebots im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern vor allem in den ersten Lebensjahren für Mütter und Väter sowie schwangere Frauen und werdende Väter (Frühe Hilfen).
§ 2 KKG Information der Eltern über Unterstützungsangebote in Fragen der Kindesentwicklung
(1) Eltern sowie werdende Mütter und Väter sollen über Leistungsangebote im örtlichen Einzugsbereich zur Beratung und Hilfe in Fragen der Schwangerschaft, Geburt und der Entwicklung des Kindes in den ersten Lebensjahren informiert werden.
(2) Zu diesem Zweck sind die nach Landesrecht für die Information der Eltern nach Absatz 1 zuständigen Stellen befugt, den Eltern ein persönliches Gespräch anzubieten. Dieses kann auf Wunsch der Eltern in ihrer Wohnung stattfinden. Sofern Landesrecht keine andere Regelung trifft, bezieht sich die in Satz 1 geregelte Befugnis auf die örtlichen Träger der Jugendhilfe.
§ 3 KKG Rahmenbedingungen für verbindliche Netzwerkstrukturen im Kinderschutz
(1) In den Ländern werden insbesondere im Bereich Früher Hilfen flächendeckend verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit der zuständigen Leistungsträger und Institutionen im Kinderschutz mit dem Ziel aufgebaut und weiterentwickelt, sich gegenseitig über das jeweilige Angebots- und Aufgabenspektrum zu informieren, strukturelle Fragen der Angebotsgestaltung und -entwicklung zu klären sowie Verfahren im Kinderschutz aufeinander abzustimmen.
(2) In das Netzwerk sollen insbesondere Einrichtungen und Dienste der öffentlichen und freien Jugendhilfe, Leistungserbringer, mit denen Verträge nach § 125 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch bestehen, Gesundheitsämter, Sozialämter, Schulen, Polizei- und Ordnungsbehörden, Agenturen für Arbeit, Krankenhäuser, Sozialpädiatrische Zentren, Frühförderstellen, Beratungsstellen für soziale Problemlagen, Beratungsstellen nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, Einrichtungen und Dienste zur Müttergenesung sowie zum Schutz gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen, Mehrgenerationenhäuser, Familienbildungsstätten, Familiengerichte und Angehörige der Heilberufe einbezogen werden.
(3) Sofern Landesrecht keine andere Regelung trifft, soll die verbindliche Zusammenarbeit im Kinderschutz als Netzwerk durch den örtlichen Träger der Jugendhilfe organisiert werden. Die Beteiligten sollen die Grundsätze für eine verbindliche Zusammenarbeit in Vereinbarungen festlegen. Auf vorhandene Strukturen soll zurückgegriffen werden.
(4) Dieses Netzwerk soll zur Beförderung Früher Hilfen durch den Einsatz von Familienhebammen gestärkt werden. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt den Aus- und Aufbau der Netzwerke Frühe Hilfen und des Einsatzes von Familienhebammen auch unter Einbeziehung ehrenamtlicher Strukturen durch eine zeitlich auf vier Jahre befristete Bundesinitiative, die im Jahr 2012 mit 30 Millionen Euro, im Jahr 2013 mit 45 Millionen Euro und in den Jahren 2014 und 2015 mit 51 Millionen Euro ausgestattet wird. Nach Ablauf dieser Befristung wird der Bund einen Fonds zur Sicherstellung der Netzwerke Frühe Hilfen und der psychosozialen Unterstützung von Familien einrichten, für den er jährlich 51 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird. Die Ausgestaltung der Bundesinitiative und des Fonds wird in Verwaltungsvereinbarungen geregelt, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen mit den Ländern schließt.
§ 4 KKG Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
(1) Werden
- Ärztinnen oder Ärzten, Zahnärztinnen oder Zahnärzten Hebammen oder Entbindungspflegern oder Angehörigen eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
- Berufspsychologinnen oder -Psychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung,
- Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberaterinnen oder -beratern sowie
- Beraterinnen oder Beratern für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,
- Mitgliedern oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
- staatlich anerkannten Sozialarbeiterinnen oder -arbeitern oder staatlich anerkannten Sozialpädagoginnen oder -pädagogen oder
- Lehrerinnen oder Lehrern an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten Schulen
in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder Jugendlichen und den Erziehungsberechtigten die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
(2) Die Personen nach Absatz 1 haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren.
(3) Scheidet eine Abwendung der Gefährdung nach Absatz 1 aus oder ist ein Vorgehen nach Absatz 1 erfolglos und halten die in Absatz 1 genannten Personen ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich, um eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen abzuwenden, so sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren; hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird. Zu diesem Zweck sind die Personen nach Satz 1 befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten mitzuteilen. Die Sätze 1 und 2 gelten für die in Absatz 1 Nummer 1 genannten Personen mit der Maßgabe, dass diese unverzüglich das Jugendamt informieren sollen, wenn nach deren Einschätzung eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen das Tätigwerden des Jugendamtes erfordert.
(4) Wird das Jugendamt von einer in Absatz 1 genannten Person informiert, soll es dieser Person zeitnah eine Rückmeldung geben, ob es die gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls des Kindes oder Jugendlichen bestätigt sieht und ob es zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen tätig geworden ist und noch tätig ist. Hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird.
(5) Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Zollbehörden.
(6) Zur praktischen Erprobung datenschutzrechtskonformer Umsetzungsformen und zur Evaluierung der Auswirkungen auf den Kinderschutz kann Landesrecht die Befugnis zu einem fallbezogenen interkollegialen Austausch von Ärztinnen und Ärzten regeln.
§ 5 KKG Mitteilungen an das Jugendamt
(1) Werden in einem Strafverfahren gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, informiert die Strafverfolgungsbehörde oder das Gericht unverzüglich den zuständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe sowie im Falle seiner Zuständigkeit den überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und übermittelt die aus ihrer Sicht zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos erforderlichen Daten. Die Mitteilung ordnen Richterinnen oder Richter, Staatsanwältinnen oder Staatsanwälte an. § 4 Absatz 2 gilt entsprechend.
(2) Gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung können insbesondere dann vorliegen, wenn gegen eine Person, die mit einem Kind oder Jugendlichen in häuslicher Gemeinschaft lebt oder die regelmäßig Umgang mit ihm hat oder haben wird, der Verdacht besteht, eine Straftat nach den §§ 171, 174, 176 bis 180, 182, 184b bis 184e, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs begangen zu haben.
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)
§ 157 FamFG Erörterung der Kindeswohlgefährdung; einstweilige Anordnung
(1) In Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs soll das Gericht mit den Eltern und in geeigneten Fällen auch mit dem Kind erörtern, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls, insbesondere durch öffentliche Hilfen, begegnet werden und welche Folgen die Nichtannahme notwendiger Hilfen haben kann.
(2) Das Gericht hat das persönliche Erscheinen der Eltern zu dem Termin nach Absatz 1 anzuordnen. Das Gericht führt die Erörterung in Abwesenheit eines Elternteils durch, wenn dies zum Schutz eines Beteiligten oder aus anderen Gründen erforderlich ist.
(3) In Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat das Gericht unverzüglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu prüfen.
Strafgesetzbuch (StGB)
§ 34 StGB Rechtfertigender Notstand
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
§ 171 StGB Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 225 StGB Misshandlung von Schutzbefohlenen
(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person,
die
- seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
- seinem Hausstand angehört,
- von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
- ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh misshandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die Schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr
- des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
- einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.
(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
UN – Konvention über die Rechte der Kinder (UKRK)
Artikel 3 UKRK Wohl des Kindes
(1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.
(2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen.
(3) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass die für die Fürsorge für das Kind oder dessen Schutz verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zuständigen Behörden festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignung des Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht.
Artikel 12 UKRK Berücksichtigung des Kindeswillens
(1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.
(2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.
Artikel 19 UKRK Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung, Verwahrlosung
(1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder
Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.
(2) Diese Schutzmaßnahmen sollen je nach den Gegebenheiten wirksame Verfahren zur Aufstellung von Sozialprogrammen enthalten, die dem Kind und denen, die es betreuen, die erforderliche Unterstützung gewähren und andere Formen der Vorbeugung vorsehen sowie Maßnahmen zur Aufdeckung, Meldung, Weiterverweisung, Untersuchung, Behandlung und Nachbetreuung in den in Absatz 1 beschriebenen Fällen schlechter Behandlung von Kindern und gegebenenfalls für das Einschreiten der Gerichte.
4. Vereinbarungen nach §8a und §72a SGB VIII
Um den Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII und den Tätigkeitsausschluss nach § 72a SGB VIII sicherzustellen, sind Vereinbarungen mit dem Jugendamt abzuschließen.
Derzeit gibt es im Landkreis München zwei Formen:
a.) Vereinbarung zur Sicherstellung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII und nach § 72a SGB VIII. Diese Vereinbarung richtet sich an freie Träger, die mit hauptamtlich tätigen Personen arbeiten (siehe Anhang).
b.) Vereinbarung zur Sicherstellung des Schutzauftrags nach § 72a SGB VIII. Für freie Träger, die ausschließlich mit ehren- und nebenamtlich tätigen Personen arbeiten, ist die Vereinbarung nach § 72a SGB VIII einschlägig.“ Mehr dazu unter Erweitertes Führungszeugnis für Ehrenamtliche
5. Insoweit erfahrene Fachkraft (IseF)
5.1 Allgemeine Informationen
Nehmen Kontaktpersonen von minderjährigen Schutzbefohlenen Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung wahr, löst dies meist starke Emotionen persönlicher Betroffenheit sowie einen hohen Handlungsdruck aus. Häufig fehlt ihnen das Fachwissen, um das tatsächliche Gefährdungsrisiko einzuschätzen, selbst wenn sie im regelmäßigen beruflichen Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen stehen. Zudem erschwert der enge Kontakt zur Familie bzw. zu einzelnen Familienmitgliedern oftmals eine sachliche, umfassende Analyse der Situation.
Die Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft (IseF) unterstützt berufliche Kontaktpersonen von Kindern und Jugendlichen innerhalb und außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe, indem sie gemeinsam mit ihnen eine strukturierte und qualifizierte Situationsanalyse und Einschätzung des Gefährdungsrisikos vornimmt sowie weitere Handlungsoptionen zum Schutz der betroffenen Kinder und Jugendlichen aufzeigt und abwägt. Es handelt sich um eine Beratung im konkreten Einzelfall.
In diesem Sinne unterstreicht die Beteiligung einer IseF bei der Gefährdungseinschätzung den Grundgedanken eines kooperativ und partizipativ ausgerichteten Kinderschutzes.
Die IseF steht der Person, die Hinweise auf Kindeswohlgefährdung wahrnimmt, ausschließlich beratend zur Seite. Sie trägt dafür Sorge, die Situationseinschätzung zu versachlichen, den Handlungsdruck für die verantwortlichen Fachkräfte der Gefährdungssituation anzupassen und zu einer fachlich-fundierten Perspektive für das weitere Handeln zu kommen. Sie unterstützt bei der Klärung, ob die vorliegenden Hinweise und Informationen auf eine Kindeswohlgefährdung schließen lassen, wie das aktuelle Gefährdungsrisiko einzuschätzen ist und welche weiteren Handlungsschritte aus ihrer Sicht zu empfehlen sind. Dabei bringt sie vor allem einen Blick auf die Gesamtsituation von außen ein. Der Blick von außen ist hierbei jedoch nicht das einzige Kriterium, welches eine Person als IseF qualifiziert.
Die IseF trägt ausschließlich Verantwortung für den Prozess der Beratung. Die Gesamtfallverantwortung einschließlich Umsetzung der empfohlenen oder vereinbarten Handlungsschritte sowie der zeitlichen Abläufe bleibt bei der ratsuchenden Person, gegebenenfalls im Zusammenwirken mit Leitung und Träger. Die Beratung durch die IseF kann einmalig oder prozessbegleitend erfolgen.
5.2 Ziele der Beratung durch die IseF
Ziel der Beratung ist es, darauf hinzuwirken, im Hinblick auf das Kind oder die Jugendliche / den Jugendlichen bestmöglichen Schutz und Hilfe zu gewährleisten, und dafür eine möglichst gemeinsame, zwischen Kontaktperson und/oder ggf. dem Team und insoweit erfahrener Fachkraft geteilte Problemsicht über Vorliegen und Ausmaß einer Kindeswohlgefährdung und die nächsten erforderlichen Handlungsschritte zu schaffen.
Die Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft im Fall vermuteter Kindeswohlgefährdung dient dazu,
- eine nicht in den Fall involvierte Instanz, die einen Außenblick auf die Gesamtsituation ermöglicht, einzubeziehen.
- die Handlungssicherheit der Ratsuchenden im Umgang mit den Hinweisen auf Kindeswohlgefährdungen zu erhöhen und ihnen die dafür erforderliche fachliche Expertise und Kompetenz zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört insbesondere die Unterstützung im Umgang mit Unsicherheiten und Ambivalenzen. Dies soll dabei helfen das Spannungsverhältnis zwischen der Beziehung zu den Eltern und den Bedürfnissen des Kindes auszuhalten und vorschnellen einseitigen Lösungen zu widerstehen.
- die Ratsuchenden psychisch zu entlasten, um sie in ihrer zentralen Rolle als Vertrauens- bzw. Bezugspersonen zu stärken und so Zugänge zu Hilfen zu eröffnen und/oder weitergehende eigene Handlungsmöglichkeiten zum Schutz der Kinder/Jugendlichen zu erkennen und auszuschöpfen.
- unter dem Aspekt der Qualitätssicherung für die betroffenen Kinder/Jugendlichen und Eltern/Sorgeberechtigten eine Orientierung an den fachlichen Standards (nach Lüttringhaus) für den Umgang mit der Gefährdungseinschätzung und der weiteren Verfahrens- und Hilfegestaltung einzuhalten.
- die Ratsuchenden zu partizipativem Handeln und zum Einbezug der Betroffenen zu befähigen. Ein Aspekt dabei ist die Kinder/Jugendlichen nicht nur in ihrem Schutzbedürfnis, sondern auch als eigenständige Akteure und Rechtssubjekte wahrzunehmen und anzusprechen.
- im Vorfeld die Handlungsoptionen und Verantwortlichkeiten der jeweiligen Person/Organisation zum Schutz der Kinder bzw. Jugendlichen zu aktivieren, sowie im Fall einer erforderlichen Mitteilung an das Jugendamt entsprechend kompetent handeln zu können.
5.3 Grenzen der Beratung durch die IseF
Die unabhängige Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft setzt voraus, dass diese selbst nicht in den Fall involviert ist. Es widerspricht daher ihrem originären Auftrag
- eigenständig Sachverhalte zu ermitteln,
- diagnostische Aufgaben z.B. im direkten Kontakt mit den Eltern, Kindern und Jugendlichen zu übernehmen,
- sich an Elterngesprächen zu beteiligen,
- Aufgaben im Rahmen der Schutzplanung für Kinder oder Jugendliche zu übernehmen,
- Helferkonferenzen zu koordinieren
5.4 Konkrete Aufgaben der IseF im Beratungsprozess
- Die IseF gestaltet das Setting der Beratung und moderiert und strukturiert den Beratungsprozess ziel- und ergebnisorientiert. Hilfreich ist hierzu die Bereitstellung eines strukturierten Dokumentationsbogens (Muster im Anhang)
- Sie stellt Transparenz über Zielsetzung und Gegenstand der Beratung, über die verschiedenen Aufträge und Rollen der Beteiligten (insoweit erfahrene Fachkraft, Ratsuchende, ggf. Träger und Leitung) her und führt eine gemeinsame Auftragsklärung herbei.
- Sie informiert im Beratungsprozess über Indikatoren für eine Kindeswohlgefährdung, über rechtliche Grundlagen, Verfahrensweisen und die jeweiligen Aufträge der beteiligten Institutionen zur Wahrnehmung des Schutzauftrags sowie über mögliche Hilfeangebote bzw. Schutzmaßnahmen.
- Sie strukturiert den Prozess der Gefährdungseinschätzung und berät bei der Prüfung, ob und in welchem Umfang die vorliegenden Anhaltspunkte auf eine Kindeswohlgefährdung hinweisen. Sie schätzt im Zusammenwirken mit den Ratsuchenden und unter Einbezug möglichst vielfältiger Informationen und Perspektiven das aktuelle Gefährdungsrisiko des Kindes / Jugendlichen ein. Dabei macht sie auf mögliche „blinde Flecken“, fehlende Informationen und alternative Deutungen im Einschätzungsprozess aufmerksam.
- Sie gibt methodische Hilfestellung, wie Gespräche mit den Eltern(teilen) geführt werden können und Sorgeberechtigte so einbezogen werden können, dass sie als Partner und Partnerinnen gewonnen werden, die Hilfen annehmen und aktiv daran mitwirken den Schutz der Kinder/Jugendlichen wiederherzustellen.
- Sie gibt fachliche und methodische Hinweise, wie Kinder und Jugendliche beteiligt werden können, damit sie von Scham- und Schuldgefühlen, Isolation und Ängsten, Loyalitätskonflikten etc. entlastet werden und ihre Erlebnisse, Wahrnehmungen, Wünsche und Perspektiven ausreichend in die Gefährdungseinschätzung einbringen können.
- Sie unterstützt die Ratsuchenden darin, den Blick auf die für die Gefährdung ursächlichen Problemlagen zu lenken, diese zu erkennen und zu bewerten und daraus Schlüsse für die notwendige und geeignete Hilfe bzw. Schutzmaßnahme abzuleiten.
- Sie wägt gemeinsam mit den Ratsuchenden die geeigneten Handlungsschritte zur weiteren Klärung des Sachverhalts und/oder zum Schutz des Kindes/Jugendlichen und deren Wirksamkeit ab und klärt die Frage, ob, wann und wie eine Hinzuziehung des Jugendamtes sinnvoll bzw. notwendig ist.
- Sie berät die ratsuchende Person zu einer sachgerechten Dokumentation des gesamten Prozesses auf der Basis des Modells „Lüttringhaus“ und unterstützt gegebenenfalls bei der Vorbereitung der Hinzuziehung des Jugendamtes.
- Sie dokumentiert und evaluiert ihre eigenen Beratungsprozesse in angemessener Weise. (Muster im Anhang)
- Sie achtet darauf, dass das Protokoll des Beratungsgespräches von allen Beteiligten (IseF/ ratsuchende Person) unterschrieben wird und klärt darüber auf, dass das Gesprächsprotokoll ausschließlich die Dokumentationspflicht erfüllt, nicht jedoch als Meldung an das Jugendamt verwendet werden kann.
5.5 Abschluss der Beratung
Die Beratung kann als abgeschlossen gelten,
- wenn die ratsuchende Person bezüglich des Weiteren Vorgehens zu einer klaren Einschätzung findet und Handlungssicherheit erlangt hat,
- wenn die ratsuchende Person keinen weiteren Beratungsbedarf anmeldet, weil die empfohlenen Handlungsschritte wirkungsvoll sind und das Kindeswohl wieder gesichert ist,
- wenn eine Mitteilung und Übergabe durch die ratsuchende Person an das Jugendamt erfolgt, weil dessen Tätigwerden für erforderlich erachtet wird und keine andere Möglichkeit der Abwendung der Gefährdung besteht.
5.6 Rechtliche Grundlagen
Für die Hinzuziehung einer IseF sind die folgenden rechtlichen Grundlagen relevant:
- § 8a Abs. 4, Satz 2 und 5 SGB VIII: regelt die Beratung der Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe
- § 8b SGB VIII: regelt das Angebot der Beratung für alle Personen, die regelmäßig im Kontakt mit Kindern stehen (z.B. Trainer und Trainerinnen in Sportvereinen)
- § 8b in Verbindung mit § 4 Abs. 2 KKG: regelt das Beratungsangebot für alle dort benannten „Berufsgeheimnisträger“
Je nachdem, ob Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung oder gewichtige Anhaltspunkte für eine solche vorliegen, findet eine Beratung nach § 8a oder § 8b SGB VIII statt.
Im ersten Fall muss eine IseF verpflichtend hinzugezogen werden, im zweiten Fall gibt es einen Anspruch auf die Hinzuziehung einer IseF. Entsprechend unterscheidet sich die Arbeitsweise bei einer Beratung nach § 8a Abs. 1 SGB VIII und bei einer Beratung nach § 8b Abs. 4 SGB VIII:
Bei einer Beratung nach § 8a Abs. 4 SGB VIII achtet die IseF durch Nachfragen und Hinweise mit auf die Einhaltung des trägerinternen Verfahrens (z.B. von Regelungen zur Dokumentation der Beobachtungen, zur Information von Leitung/Träger), und wirkt darauf hin, dass Handlungsabsprachen zu Schutz/Hilfe für die Kinder und Jugendlichen verbindlich miteinander vereinbart werden. Dazu gehört auch die Klärung der Frage, wie die Umsetzung des vereinbarten weiteren Vorgehens und die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen überprüft und kontrolliert werden.
Bei einer Beratung nach § 8b Abs. 4 SGB VIII ist es Aufgabe der IseF, vor allem gemeinsam mit den Ratsuchenden die beobachteten Hinweise und Signale der Kinder und Jugendlichen zu sammeln und zu bewerten und auf dieser Grundlage Position zu beziehen, ob eine Kindeswohlgefährdung aus Sicht des Ratsuchenden vorliegt oder nicht, sowie eine Handlungsempfehlung zum weiteren Vorgehen auszusprechen. Sie sollte darüber hinaus soweit wie möglich versuchen, durch Absprachen z.B. zu Rückmeldungen, einem Anschlusstermin etc. Verbindlichkeit darüber herzustellen, ob den Empfehlungen entsprochen wurde und die Maßnahmen zum Schutz des Kindes wirkungsvoll waren.
Weitere Gemeinsamkeiten und Unterschiede der o.g. Rechtsgrundlagen für die Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft zur Gefährdungseinschätzung bei vermuteter Kindeswohlgefährdung zeigt die nachfolgende Tabelle:
Rechtliche Grundlage | § 8a SGB VIII | § 8b SGB VIII | § 8b Abs.1 SGB VIII in Verbindung mit § 4 KKG |
---|---|---|---|
Rechtsform | Vereinbarung zwischen öffentlichem Träger und Träger von Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe zur verpflichtenden Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft bei der Gefährdungseinschätzung Der öffentliche Träger ist zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen verpflichtet. Der freie Träger und die Einrichtungen und Dienste in öffentlicher Trägerschaft (kommunale Beratungsstellen o.ä.) tragen die Verantwortung für die Umsetzung der Vereinbarung in den eigenen Organisationen | Rechtsanspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe ist zur Sicherstellung des Beratungsangebots verpflichtet. | Rechtsanspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe ist zur Sicherstellung des Beratungsangebots verpflichtet. |
Adressaten der Beratung | Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe beim öffentlichen und beim freien Träger, die über die Vereinbarungen in den staatlichen Schutzauftrag gegenüber Kindern und Jugendlichen eingebunden sind. | Personen, die beruflich regelmäßig in Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen stehen und in ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber Kindern und Jugendlichen unterstützt werden sollen. | Berufsgeheimnisträger*innen gemäß der Aufzählung in § 4 KKG, die über diese gesetzlichen Regelungen mit Solidarpflichten zur Leistung eines bestimmten Vorgehens in den staatlichen Schutzauftrag eingebunden sind. |
Status und Setting der Beratung | Verpflichtende Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft vor Mitteilung einer Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt (AJFH). Beratung der einzelnen ratsuchenden Fachkraft, häufig aber auch unter Einbeziehung des Teams und/oder Leitung. Nach Möglichkeit im persönlichen Kontakt vor Ort, jedoch auch digital (Videokonferenz), im Einzelfall auch telefonisch. | Freiwillig nutzbares Beratungsangebot zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung. I.d.R. Beratung einer einzelnen anfragenden Person. Niederschwelliger, voraussetzungs-loser Zugang für persönliche, aber auch telefonische oder digitale (E-Mail, Video, Online) Beratung möglich, abhängig von der Situation und den Bedarfen der Anfragenden. | Freiwillig nutzbares Beratungsangebot zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung. Beratung der Geheimnisträger, i.d.R. Einzelpersonen, aber auch Teamberatung sowohl persönlich als auch telefonisch oder digital möglich |
Anlass der Beratung | Anlass: gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung | Anlass: Hinweise auf Kindeswohlgefährdung | Anlass: Hinweise auf Kindeswohlgefährdung |
Ziel der Beratung | Ziel: Gefährdungseinschätzung im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte Handlungssicherheit für die fallverantwortlichen Fachkräfte durch verbindliche Absprachen über weitergehende Handlungsschritte zum Schutz des Kindes/Jugendlichen | Ziel: Gefährdungseinschätzung Empfehlung zum weiteren Vorgehen Handlungssicherheit für die ratsuchende Person | Ziel: Gefährdungseinschätzung, Hilfestellung im Abwägen zwischen Schweigepflicht und Kinderschutz, Empfehlung zum weiteren Vorgehen |
Kontrolle Umsetzung | Kontrolle der Umsetzung von Schutz- und Hilfemaßnahmen: i.d.R. durch Leitung der Einrichtungen und Dienste in freier bzw. öffentlicher Trägerschaft | Kontrolle der Umsetzung von Schutz- und Hilfemaßnahmen: ggf. auf freiwilliger Basis zu vereinbaren | Kontrolle der Umsetzung von Schutz- und Hilfemaßnahmen: ggf. auf freiwilliger Basis zu vereinbaren |
5.7 Anforderungen an die Strukturqualität
Für die qualitätsvolle Umsetzung der vorgenannten Beratungsleistung der insoweit erfahrenen Fachkraft sind folgende Anforderungen an die Qualifikation und Rahmenbedingungen essentiell;
Qualifikation der insoweit erfahrenen Fachkraft:
- Fachkraft gemäß §72 SGB VIII: i.d.R. (Fach)Hochschulabschluss (B.A., M.A., Diplom) in (Sozial-) Pädagogik oder Psychologie bzw. analoge Qualifikation
- Mindestens drei Jahre Berufserfahrung sowie einschlägige Praxiserfahrung in der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung
- Vertieftes Wissen im Kinderschutz, nachgewiesen durch eine einschlägige Weiterbildung
Rahmenbedingungen:
- Niederschwelliger Zugang für die ratsuchenden Personen durch proaktive Bekanntmachung von Kontaktdaten und Leistungsumfang der Beratung (z.B. Infomaterial in Printform, Internetauftritt, etc.).
- Zur Wahrung der Unabhängigkeit und Neutralität - insbesondere hinsichtlich der Abgrenzung vom staatlichen Wächteramt - verbindlich festgelegter Prozessablauf mit Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Erfordernisse
- Verlässliche zeitliche Ressourcen sowohl für die Beratung als auch für die Bekanntmachung des Angebots
- Gewährleistung einer zeitnahen Bearbeitung von Anfragen (i.d.R. innerhalb 24 Stunden) und sicherer Vertretungsregelungen
- Möglichkeiten zum kollegialen Austausch und/oder Fachberatung/Supervision
- Fortlaufende Qualitätssicherung durch Teilnahme an Fortbildungen, Qualitätszirkeln, und weiteren Gremien
5.8 Zuständigkeiten
Alle für den Landkreis München zuständigen Stellen zur IseF-Beratung sind zu finden unter Verdacht auf Kindeswohlgefährdung (IseF).
oder unter: www.landkreis-muenchen.de/isef
5.9 Anhang
Eine mögliche Dokumentation einer IseF-Beratung sowie eine Risikoeinschätzung im Team finden Sie hier.
5.10 Literatur
„Die insoweit erfahrene Fachkraft gemäß SGB VIII und BKiSchG“ Fachstelle Kinderschutz im Land Brandenburg – Start gGmbH, August 2015,
„Empfehlung Schutzauftrag – Grundsätze und Maßstäbe zur Bewertung der Qualität einer insoweit erfahrenen Fachkraft“, Empfehlung für Jugendämter, LWL - Landesjugendamt Westfalen, LVR – Landesjugendamt
Rheinland, Dezember 2020
6. Hilfestellungen Bearbeitung Gefährdungsfall in Einrichtung
6.1 Grundvorgehensweisen
6.1. 1 Information der Leitung und Einschätzung im Team
Werden einer Fachkraft gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt, muss diese nach § 8a Absatz 4 Satz 1 SGB VIII eine Einschätzung bzgl. der weiteren Vorgehensweise treffen.
Die Sorge um das Wohl eines Kindes stellt in der Regel für jede Fachkraft eine große Belastung dar. Häufig steht dabei der Wunsch nach Klarheit und schnellen Lösungen im Widerspruch zu den komplexen Fallkonstellationen und Handlungsspielräumen. Um jedoch zu einer objektiven Einschätzung zu kommen, ist es wichtig, das Team miteinzubeziehen. Auch muss die direkt vorgesetzte Führungskraft über den Fall informiert und weitere Schritte mit ihr abgesprochen werden. Bei akuter Gefahr ist der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB maßgebend, so dass die Fachkraft befugt ist, die Polizei oder ärztliche Hilfe anzufordern. Auch hier muss die vorgesetzte Führungskraft informiert miteinbezogen werden.
Die Einschätzung muss ausführlich dokumentiert werden. Die Dokumentationspflicht betrifft alle Verfahrensschritte. Sie muss beinhalten:
- beteiligte Fachkräfte,
- zu beurteilende Situation,
- Ergebnis der Beurteilung,
- Art und Weise der Ermessensausübung,
- weitere Entscheidungen,
- Definition der Verantwortlichkeit für den nächsten Schritt,
- Zeitschiene für Überprüfungen.
Das Ergebnis der Abschätzung des Gefährdungsrisikos und die Handlungsschritte sind umgehend schriftlich und nachvollziehbar zu dokumentieren. Für jeden Handlungsschritt wird der Verantwortliche für die Dokumentation festgelegt. Die Letztverantwortung liegt bei der vorgesetzten Führungskraft.
6.1.2 Einbeziehung der insoweit erfahrenen Fachkraft
Teilt das Team und die vorgesetzte Führungskraft die Einschätzung, dass gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, ist die Fachkraft nach §8a Absatz 4 Satz 2 SGB VIII verpflichtet, zur weiteren Gefährdungseinschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft (ISEF) hinzuzuziehen. Jeder freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe hat eine insoweit erfahrene Fachkraft zur Verfügung zu stellen, die den in den Einrichtungen tätigen Fachkräften bekannt ist.
Die Fachkraft schildert der ISEF auf der Grundlage der bisherigen Informationen in anonymisierter Form den Fall, nimmt mit ihr gemeinsam eine Risikoeinschätzung vor und plant gegebenenfalls weitere Schritte. Grundlage für die Informationen sind beobachtbare Verhaltensweisen und erworbene Hinweise. Hierbei hat die ISEF lediglich eine Beratungsfunktion, fallverantwortlich bleibt die zuständige Fachkraft. Über das Ergebnis der Beratung mit der ISEF ist die unmittelbar vorgesetzte Führungskraft zu informieren.
6.1.3 Das Elterngespräch
Wesentlicher Bestandteil im weiteren Umgang mit einer (möglichen) Gefährdung ist das Gespräch mit dem Kind oder dem/der Jugendlichen und den Sorgeberechtigten. Seltener Ausnahmefall ist dann, wenn das Gespräch mit den Sorgeberechtigten den wirksamen Schutz des Kindes bzw. des/der Jugendlichen gefährdet. Dies ist jedoch ebenfalls schriftlich zu begründen. Die Sorgeberechtigten und das Kind oder der/die Jugendliche werden über die Anhaltspunkte informiert. Ziel ist, gemeinsam mit den Sorgeberechtigten und dem Kind oder dem/der Jugendlichen gemeinsam Möglichkeiten zu erarbeiten, welche Schritte zu Veränderungen, die die Gefährdungslage abwenden können, notwendig sind. Ihre Einschätzung der Situation ist anzuhören und ihre Bewertung der Anhaltspunkte in die weitere Vorgehensweise mit einzubeziehen.
Oberstes Gebot ist immer, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und ihre zuvörderst obliegende Pflicht ist. In dieses Recht darf nur in absolut begründeten Fällen eingegriffen werden. Das Ziel ist immer, eine Kooperation mit den Beteiligten zu erreichen, sie dafür zu gewinnen, die Situation im Interesse ihres Kindes positiv zu verändern.
Die Sorgeberechtigten und das Kind oder den/die Jugendliche sind zur Inanspruchnahme von Hilfen zu motivieren, diese auf dem Weg zur Inanspruchnahme zu unterstützen und Bedenken abzubauen.
Sind die Sorgeberechtigten jedoch nicht einsichtig oder nicht in der Lage ihr Kind zu schützen und die Gefährdung abzuwenden, ist eine erneute Einschätzung unter Einbeziehung des Teams, der unmittelbar vorgesetzten Führungskraft und der zuständigen ISEF vorzunehmen. Das Elterngespräch ergibt auch die Möglichkeit neue Informationen zu gewinnen, die im Anschluss hinsichtlich einer Kooperationsbereitschaft der Eltern und einer Gefährdungseinsicht bewertet werden müssen. Die Ergebnisse aus diesem Elterngespräch werden zusammen mit der insoweit erfahrenen Fachkraft besprochen und bewertet.
Liegt nach dem Gespräch mit den Eltern und der Bewertung durch die ISEF die Einschätzung vor, dass die Eltern zu einer Kooperation nicht bereit oder nicht in der Lage sind, ist an dieser Stelle eine schriftliche Gefährdungsmeldung bei der Allgemeinden Jugend- und Familienhilfe vorzunehmen. Über diesen Schritt sind die Eltern zu informieren.
Ein standardisiertes Formular für die Gefährdungsmeldung soll jeder Träger vorhalten.
6.1.4 Abwendung der Gefährdung – das Schutzkonzept
Erarbeitung von Hilfsmöglichkeiten
Einrichtung und ISEF erarbeiten in einem nächsten Schritt Vorschläge für Hilfsmöglichkeiten. Welche Art der Hilfe angeboten wird, ist von der Form und Massivität der Kindeswohlgefährdung und – soweit dies für die Einrichtung einschätzbar ist – von den Ressourcen und Stärken des Kindes sowie von der Erziehungsfähigkeit und den Ressourcen der Eltern abhängig.
Die insoweit erfahrene Fachkraft hat in der Regel einen Überblick über die im konkreten Falle sinnvollen Hilfemöglichkeiten. Ohne Einbezug des Jugendamtes kann den Eltern – je nach Problemlage – beispielsweise ein Beratungsprozess in einer Eltern- und Jugendberatungsstelle nahegelegt werden. In vielen Fällen wird es an dieser Stelle aber schlicht darum gehen, die Eltern dahingehend zu beraten, sich mit dem Jugendamt in Verbindung zu setzen und gemeinsam mit dem Jugendamt den Hilfebedarf abzuklären. Die Einrichtung kann dazu beitragen, dass die Eltern diese Schwelle nicht als zu hoch empfinden, indem sie den Eltern deutlich machen, dass ein Jugendamt tatsächlich Hilfen anbieten kann, auf die Eltern ein Recht haben.
6.1.5 Mitteilung an das Jugendamt
Die Mitteilung an die Allgemeine Jugend- und Familienhilfe (AJFH) ist schriftlich vorzunehmen. Hierfür hat die jeweilige Einrichtung ein standardisiertes Formular zu erarbeiten.
Folgende Inhalte müssen aufgeführt sein:
- Name und Anschrift des Kindes und der Personensorgeberechtigten
- gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung
- Ergebnis der Abschätzung des Gefährdungsrisikos inkl. Einschätzung der ISEF
- bereits getroffene Maßnahmen und Angabe zu angebotenen Maßnahmen, ggf. Angaben zur getroffenen Schutzvereinbarung
Der Gefährdungsmeldung wird von der jeweils zuständigen Fachkraft der AJFH in jedem Fall nachgegangen und es werden die erforderlichen Schritte im Rahmen der AJFH eingeleitet.
Die jeweils zuständige Fachkraft kann auf der Webseite des Landratsamtes unter der Dienstleistung Kinderschutz gefunden werden.
Die AJFH ist lediglich zu den offiziellen Öffnungszeiten des Landratsamtes München zu erreichen. Diese können ebenfalls auf der Homepage des Landratsamtes München eingesehen werden.
Außerhalb der Öffnungszeiten ist in nicht abwendbaren Fällen die Polizei zu informieren.
Alternativ kann auch in diesem Fall eine Schutzvereinbarung mit den Eltern getroffen werden, bis die zuständige Fachkraft bzw. eine Vertretung erreicht werden kann.
Die Schutzvereinbarung muss Maßnahmen enthalten, die den Schutz des Kindes gewährleisten. Hierbei kann auf Ressourcen im familiären Umfeld zurückgegriffen werden.
7.1 Offene Kinder- und Jugendarbeit
Die Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) bietet jungen Menschen die Möglichkeit ihre eigenen Räume und Freizeiten zu gestalten, Gemeinschaft zu erleben und auf ihrem Weg zum Erwachsenensein begleitet und unterstützt zu werden.
Kernelement der OKJA ist die Beziehungsarbeit. Die pädagogischen Fachkräfte bauen tragfähige professionelle Beziehungen mit den Besucherinnen und Besuchern auf. Die Arbeitsprinzipien Offenheit, Wertschätzung und Freiwilligkeit bringen des Öfteren eine familiäre Atmosphäre in den Einrichtungen der OKJA mit sich. Hierbei muss es der päd. Fachkraft gelingen das Nähe und Distanz Verhältnis zu den Besucherinnen und Besuchern regelmäßig zu reflektieren, um Grenzen setzen und eine objektive Sichtweise auf die Situation der jungen Menschen einnehmen zu können. Die Beziehungen mit den jungen Menschen sind gewachsen, gefestigt und von den jungen Menschen selbst gesucht. Diese tragfähigen Beziehungen ermöglichen es, gemeinsam mit den jungen Menschen Krisen und Herausforderungen zu bewältigen. Um das aufgebaute Vertrauen zu wahren, muss der junge Mensch von Anfang an in den Kinderschutzprozess mit einbezogen werden. Erst wenn der Wille des jungen Menschen im Gegensatz zum Schutzauftrag steht, muss ohne dessen Einwilligung eingegriffen und gehandelt werden.
Was bedeutet Kindeswohlgefährdung im Jugendalter? In Verdachtsfällen bietet eine Erstberatung durch die ISEF die notwendige Unterstützung, um die Situation objektiv und fachkundig einschätzen zu können. Hierbei ist es wichtig gemeinsam Handlungsoptionen auszuloten, mit dem Ziel bestmögliche Unterstützung sicherzustellen und Beziehungsabbrüche zu vermeiden. Kinder und Jugendliche sind freiwillig, evtl. auch unregelmäßig in der Einrichtung und können diese jederzeit, im Gegensatz zum Schulsetting, einfach verlassen. Dieser Umstand bringt für OKJA-Mitarbeiter*innen spezielle Rollenanforderungen mit sich. Einerseits sind sie die Verbündeten und Vertrauten der Kinder und Jugendlichen, andererseits haben aber auch sie den Schutzauftrag der Jugendhilfe zu erfüllen. Die „Freiwilligkeit“, als eines der Qualitätsmerkmale der OKJA, ist hierbei eine Herausforderung für den Prozess in einem Kinderschutzverdachtsmoment. Die OKJA gestaltet sich als ein überwiegend „elternfreier“ Raum, ein enger Kontakt zu den Erziehungsberechtigten der Besucher*innen besteht in der Regel nicht. In der OKJA werden keine Daten, wie z. B. im schulischen Kontext von den Besucherinnen und Besuchern vorgehalten. Diese spezielle Arbeitsweise und Ausgangslage stellt im Kinderschutzkontext eine zusätzliche Herausforderung für die pädagogischen Fachkräfte dar, da der Kontakt zu den Eltern dadurch erschwert wird.
Wird eine Meldung gemacht, kann unter Berücksichtigung des Datenschutzes mit anderen Einrichtungen kooperiert werden. Im Verlauf des Hilfeprozesses ist es wichtig, dass die pädagogischen Fachkräfte weiterhin als stabile Bezugspersonen und Informationsquellen für die jungen Menschen agieren. Jugendliche können weiterhin dahingehend begleitet werden, dass sie beispielsweise im absoluten Notfall selbst um Inobhutnahme bitten können, das Recht haben, sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden, und entsprechend ihres Entwicklungsstandes an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe beteiligt werden.
7.2 Kinder- und Jugendsozialarbeit an Schulen
Das Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendsozialarbeit (KJSA) ist das niederschwellige Jugendhilfeangebot am Ort Schule.
Die Arbeit dieser zwei unterschiedlichen Systeme, Jugendhilfe und Schule, bedingt die Einhaltung gewisser Abläufe im Kinderschutzverfahren.
Folgende Hinweise sind hierbei zu beachten:
- Eine gelingende und gelebte Kooperation mit den Lehrkräften vor Ort, aber auch unterschiedlichen Trägern ist die Voraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit. Hierzu zählt ein regelmäßiger Jour fix mit der Schulleitung. Die Kooperation kann nur unter Beachtung des Datenschutzes erfolgen.
- Diese Kooperation setzt, vor allem im Kinderschutz, ein gewisses Vertrauen in die Kooperationspartner und -partnerinnen und deren Professionen voraus.
- Eine gelingende Kooperation in diesem Zusammenhang bedeutet trotzdem eine gewisse Abgrenzung der Systeme zueinander und Sicherheit im eigenen Handlungsrahmen.
- Die Klärung der Fallverantwortung muss im ersten Schritt erfolgen. Schule hat andere rechtliche Grundlage zu beachten als das System Jugendhilfe, hier unterschiedet sich das weitere Vorgehen im Kinderschutz
- Vor Ort muss Klarheit durch festgeschriebene Abläufe geschaffen werden und eine gegenseitige Information stattfinden. Dadurch entsteht ein gemeinsames Verständnis. Dies kann bspw. durch eine schulinterne Lehrerfortbildung (SchiLf) oder eine Veranstaltung zum neuen Kinderschutzkonzept erreicht werden.
- Der Datenschutz und die Schweigepflicht sind zu jedem Zeitpunkt zu beachten und zu respektieren.
Gestaltung der organisatorischen und fachlichen Verantwortung der Leitung
Organisatorische Verantwortung:
- Sozialräumliche Strukturen schaffen → ISAR-Prozess beachten und nutzbar machen
- Ermöglichen und Bereitstellung von Informationen, kollegialer Fallberatung, Fallsupervision
- regelmäßige, zuverlässige und frühzeitige Informationen über Vorgehen und Änderungen im Kinderschutz
- regelmäßiger Kontakt mit der Schulleitung: Informationen, Austausch und Transparenz im Vorgehen
- Kooperationsvereinbarung regelmäßig thematisieren
- kurze Wege für Fachkräfte schaffen
- Handlungsleitfaden zum Vorgehen bei Nicht-Erreichbarkeit von Leitungen / ISEF (Aufzeigen der Beratungsmöglichkeit)
Sachliche Verantwortung der Leitung:
- Besprechung der nächsten Schritte in einem konkreten Fallgeschehen
- Rolle der Leitung: Dienst- und Fachaufsicht
- Sicherheit/Schutz geben
- Dokumentation der Einschätzung und des Vorgehens
- Fachwissen sicherstellen
- Gegenlesen von offiziellen Dokumenten
- Unterstützung in Gesprächen
- ISEF-Beratung in Anspruch nehmen
Ideen:
- Sozialräumliches Großteam zu §8a → 1x jährlich
Schnittstelle Jugendhilfe und Schule
Fallverantwortung:
- Klärung der Fallverantwortung und Wissen der Lehrkräfte um diese Verantwortung
- Fallverantwortung kann auch bei der Schule liegen
Datenschutz und Schweigepflicht:
- Datenschutz ist immer zu beachten
- Wenn möglich, Schweigepflichtentbindungen einholen; Diese müssen personen-, zweck, und zeitgebunden sein
Abgrenzung der Systeme:
- Transparenz und Aufklärungsarbeit gegenüber schulischem Personal zum Vorgehen in der Jugendhilfe (§8a SGB VIII)
7.3 Weitere Angebote nach § 13 SGB VIII
Grundsätzlich richten sich alle Angebote nach § 13 SGB VIII nach den Prozessen, die unter 6. Hilfestellung Bearbeitung Gefährdungsfall in Einrichtung beschrieben sind.
Zudem sind im Fall eines Verdachtes auf Kindeswohlgefährdung folgende Punkte zu beachten:
Die Leitung hat immer die Dienst- und Fachaufsicht und muss informiert werden. Sie liest offizielle Dokumente gegen, gibt Sicherheit und Schutz, unterstützt in Gesprächen und bespricht die nächsten Schritte in einem konkreten Fallgeschehen gemeinsam mit der fallverantwortlichen Fachkraft.
Es ist sicherzustellen, dass das notwendige Fachwissen bei allen Mitarbeitenden gegeben ist und durch regelmäßige Fortbildungen/Informationsveranstaltungen aktuell gehalten wird.
Die fallverantwortliche Fachkraft hat eine ISEF-Beratung in Anspruch zu nehmen und dokumentiert die Einschätzung und das Vorgehen.
Der Datenschutz ist immer zu beachten.
Wenn möglich, ist von den Personensorgeberechtigten eine Schweigepflichtentbindung einzuholen. Diese müssen personen-, zweck, und zeitgebunden sein.
7.4 Ganztag
Schule ist ein eigenes System mit einer klaren Hierarchie und festen Strukturen. Eingebettet in dieses System ist die Ganztagsbetreuung. Schule und Ganztag kooperieren eng miteinander und haben eine wichtige Rolle im Kinderschutz. Der Ganztag wird in der Regel von verschiedenen Trägern mit unterschiedlich ausgebildeten Fachkräften abgedeckt. Diese Fachkräfte und Ergänzungskräfte haben im Kinderschutz eine große Bedeutung, da sie die Kinder und Jugendlichen in unterschiedlichsten Settings wie Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung/ Ausflüge oft über Jahre begleiten.
Die verschiedenen Akteure an einer Schule müssen wissen, wie das Vorgehen im Kinderschutzfall ist. Je nach Fallverantwortung und Berufsabschluss variiert dies formal etwas. Trotzdem sollte ein gemeinsamer konzeptioneller „roter Faden“ bestehen, um Handlungssicherheit zwischen den Professionen sicherzustellen. Dieser kann durch Schulungen, Schutz- und Beteiligungskonzepte und einer gemeinsam gelebten klaren Haltung im Schulalltag zum Ausdruck kommen. Alle Kooperationspartner an einer Schule haben einen externen Beratungsanspruch bei einer insoweit erfahrenen Fachkraft (IseF). Diese möglichst frühzeitig hinzuzuziehen, ist oft sehr hilfreich, um unübersichtliche Fallkonstellationen zu ordnen und einen sachlichen Blick einnehmen zu können.
Ein wichtiger Punkt im Kinderschutzfall ist die Klärung der Fallverantwortung. Dabei gilt der Grundsatz: Kinderschutz muss vom Kind ausgehend gedacht werden. Das heißt, ein Kind/Jugendlicher hat sich nicht ohne Grund einer bestimmten Person anvertraut, die deshalb die Fallverantwortung übernehmen sollte. Dabei muss die Beteiligung der Interessen des Kindes/Jugendlichen, als auch die jeweilige Ausbildung der ausgesuchten Vertrauensperson berücksichtigt werden. Ein gemeinsames und abgestimmtes Vorgehen durch die Hinzuziehung einer pädagogischen Fachkraft und der Einrichtungsleitung zur Prozesssteuerung bringt Handlungssicherheit. Grundsätzlich können Fälle auch in Kooperation mit der Schule
bearbeitet werden. Es ist trotzdem wichtig, von Beginn an die Fallverantwortung zu klären, um weitere Prozessschritte zügig machen zu können.
7.5 Jugendverbandsarbeit
Das Wesen der Jugendverbandsarbeit wird im Sozialgesetzbuch VIII in § 12 beschrieben. Junge Menschen organisieren sich selbst und verantworten die gemeinschaftlich gestaltete Jugendarbeit. Oftmals agieren junge Menschen ehrenamtlich und eigenständig ohne die professionelle Unterstützung durch hauptberufliche Fachkräfte.
Die verbandliche Jugendarbeit vollzieht sich in einem engen, häufig familiären Kontext, in dem Gruppenleiter und Gruppenleiterinnen sowie Jugendleiter und Jugendleiterinnen eine besondere Rolle einnehmen. Sie sind zentral in der Selbstorganisation der Aktivitäten und in der pädagogischen Verantwortlichkeit. Wegen der Art, der Dauer und Intensität der Interaktionen mit den Mitgliedern einer Jugendverbandsgruppe handelt es sich einen qualifizierten Kontakt (Bundeskinderschutzgesetz). Die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisse nach SGB VIII § 72a (Tätigkeitsausschluss vorbestrafter Personen) sollte obligatorisch sein. Vereine und Verbände im Landkreis München haben dazu mit dem Jugendamt eine Vereinbarung zu unterzeichnen.
Um dem Anliegen, Kinder und Jugendliche vor Gefährdungen aller Art zu schützen, im Besonderen vor sexualisierten Übergriffen, brauchen hauptberuflich und in verantwortlichen Funktionen ehrenamtlich tätige Personen Kompetenzen und Unterstützung.
Wegen der meist auf Dauer angelegten verbandlichen Jugendarbeit entstehen Beziehungen und Vertrauensverhältnisse, in denen sich jungen Menschen gerade auch hinsichtlich problematischer persönlicher Entwicklungen und Gefährdungslagen öffnen können.
Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter erhalten in den Jugendleiterausbildungen hierzu entsprechende Grundinformationen. Jugendamt und Kreisjugendring München-Land bieten sowohl Beratung – auch durch insoweit erfahrene Fachkräfte (IseF), als auch Informationsmaterial und Handreichungen (z.B. Verhaltenskodex; Handlungsleitfaden; Handbuch; Maßnahmenpaket) für den Aufbau einer respektvollen Beziehungskultur (Nähe und Distanz), die bewusste Einschätzung von Gefährdungsmomenten und die kompetente Unterstützung bei Verdachtsfällen.
Die konkrete Gefährdungseinschätzung für Gruppenmitglieder im Rahmen der verbandlichen Jugendarbeit erfordert Sensibilität und den Willen sich ein faktisches Gesamtbild der jeweiligen Problemkonstellation und der allgemeinen Lebensumstände zu machen.
Was kann ich in verantwortlicher Position in meinem Verband tun, was muss ich machen?
Um sich weitestgehende Klarheit über die beobachteten Auffälligkeiten zu verschaffen, ist es oftmals hilfreich, problematische Sachverhalte in Gesprächen mit den Betroffenen in dezentem und geschütztem Rahmen zu erschließen (sinnvoll oftmals mit einer / weiteren Vertrauensperson/en). Viele Jugendverbände geben neben Verhaltensregeln auch Handlungsleitfäden an die Hand. Es ist wichtig sich darüber Kenntnis zu verschaffen.
Wichtig ist immer, mit seinen Wahrnehmungen nicht allein zu bleiben!
Leitungskollegen und Leitungskolleginnen, oder die Ortsgruppenleitung, oder Personen in höheren Verbandsebenen können Ansprechpartner sein. Oftmals haben sie entsprechende Qualifizierungen.
Zur externen Konsultation stehen immer auch die Referenten und Referentinnen der Jugendverbandsarbeit des KJR München-Land zur Verfügung. Sie können beraten und bei Einschätzungen helfen und auch Auskunft und Vermittlung zu Fachberatungsstellen und insoweit erfahrenen Fachkräfte (IseF) anbieten:
Themenbereiche u.a.:
- Lebensberatung für junge Menschen
- Mentale Gesundheit (z.B. selbstverletzendes Verhalten)
- Häusliche Gewalt / Gewalt
- Sexualität
- Sucht- und Alkoholgefährdung
Im Falle von unmittelbarer Gefährdung (Selbst- (z.B. akute Suizidandrohung) oder Fremdgefährdung (Gewaltandrohung dritte Person/en)) ist es geboten Polizei und Jugendamt einzuschalten.
In der Folge sollte zeitnah eine Information an die nächste höhere Ebene / Funktion im eigenen Jugendverband gegeben werden. Wichtig bei der Informationsweitergabe im eigenen Verband – Schutz persönlicher Daten!
Kontakte und Informationen
Jugendverbandsarbeit Kreisjugendring München-Land:
7.6 Familienstützpunkte
Familienstützpunkte sind sozialraumorientierte und wohnortnahe Anlauf- und Kontaktstellen für alle Familien. Der § 16 SGB VIII soll dazu beitragen, dass Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können und ihre Kompetenz zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe einsetzen.
Im Landkreis München gibt es derzeit zehn durch den Landkreis geförderte Familienzentren, deren Funktion darin besteht, leicht zugängliche Angebote für Kinder und Eltern zur Unterstützung und Förderung der Familie vorzuhalten. Sie sollen insbesondere die frühkindliche Erziehung unterstützen, fördern und effizienter gestalten. Dazu gehören auch gezielte Angebote zur temporären Entlastung der Erziehungsarbeit durch die stundenweise Übernahme der Betreuung von Kindern in den jeweiligen Familienzentren.
Die Fachkräfte in der Familienbildung arbeiten grundsätzlich mit Einzelpersonen und/oder Familien, sie haben keinen Einzelkontakt zu Kindern oder Jugendlichen.
Eine Besonderheit in der Familienbildung stellt die Arbeit mit dem ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Familienzentren dar. Diese müssen eine jährliche Schulung zum §8a SGB VIII erhalten. Auch in diesem Bereich entsteht kein Einzelkontakt zwischen den ehrenamtlich Tätigen und den Kindern und Jugendlichen in den Familienzentren. Der Besuch der Kinder und Jugendlichen in den Familienzentren findet in der Regel mit den Personensorgeberechtigen statt. Die Kinderschutzkonzeption wird von den Trägern und den Einrichtungen der Familienstützpunkte und Familienzentren unter Einbeziehung der Vorgaben durch das Landratsamt München wie folgt umgesetzt:
7.6.1 Handlungsschritte
- Nehmen eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter gewichtige Anhaltspunkte wahr, teilt sie diese einer pädagogischen Fachkraft mit.
- Wenn die Vermutung eines gewichtigen Anhaltspunkts für ein Gefährdungsrisiko im Rahmen einer kollegialen Beratung nicht ausgeräumt werden kann, ist die Abschätzung des Gefährdungsrisikos unter Einbeziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft formell vorzunehmen.Die zuständigen insoweit erfahrenen Fachkräfte sind den jeweiligen Einrichtungen bekannt.
- Werden Jugendhilfeleistungen zur Abwendung des Gefährdungsrisikos für erforderlich gehalten, die der Träger selbst erbringen kann, ist bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme solcher Leistungen hinzuwirken.
- Werden zur Abwendung des Gefährdungsrisikos
- Jugendhilfeleistungen für erforderlich gehalten, die der Träger selbst nicht erbringen kann, oder
- andere Maßnahmen für erforderlich gehalten (z.B. Gesundheitshilfe, Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz), oder
- reichen diese Maßnahmen nicht aus, oder
- sind die Personensorgeberechtigten nicht in der Lage oder bereit, solche Maßnahmen in Anspruch
zu nehmen, unterrichtet der Träger unverzüglich die zuständige Insofern erfahrene Fachkraft
- Sofern eine Fachkraft des Jugendamts bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos nach Absatz 2 bereits beteiligt war, übernimmt das Jugendamt die Verantwortung für die weiteren Handlungsschritte.
- Der Träger stellt durch geeignete Maßnahmen die Einhaltung dieser Handlungsschritte sicher.
- Bei allen Schritten lückenlose, schriftliche Dokumentation.
7.7 Fachkräfte in den Frühen Hilfen
Die Fachstelle AndErl – Frühe Hilfen ist eine Anlaufstelle für werdende Eltern und Eltern mit Kindern bis drei Jahre. Wird im Clearingprozess ein Unterstützungsbedarf deutlich, bei dem die Familie durch eine externe Fachkraft der Frühen Hilfen begleitet werden soll, ist es möglich, diese über Honorar- bzw. Rahmenverträge auf der Grundlage des § 16 SGB VIII als frei Mitarbeitende zu beauftragen. In den Verträgen ist im Falle einer Kindeswohlgefährdung folgendes geregelt:
Sollten gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung in einer Familie sichtbar werden, ist für die jeweilige Fachkraft in der Familie von Bedeutung, eine klare fachliche Struktur vor Augen zu haben, die sich an den gesetzlichen Vorgaben orientiert. Für die Zusammenarbeit zwischen AndErl und externen Fachkräften bedeutet dies, zunächst in der ersten Stufe die eigenen fachlichen Mittel zur Gefährdungsabschätzung und Gefährdungsabwehr zu prüfen. In der zweiten Stufe auf eine aktive Inanspruchnahme von Hilfen durch die Personensorgeberechtigten hinzuwirken und in der dritten Stufe eine (am besten schriftliche) Mitteilung an das Kreisjugendamt (AJFH – Allgemeine Jugend- und Familienhilfe) zu senden, wenn ein Tätigwerden dringend erforderlich ist und die Personensorgeberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, an einer Gefährdungseinschätzung oder – abwendung mitzuwirken.
In jeder der drei Stufen kann sich die Fachkraft zur Beratung und gemeinsamen Entscheidung im weiteren Vorgehen an eine AndErl Mitarbeiterin wenden, auch anonymisiert. Eine Überprüfung bei einer Kindeswohlgefährdung nach § 8 a SGB VIII erfolgt nicht durch AndErl, sondern wird im Rahmen der Aufgaben der AJFH durchgeführt. (Siehe auch Regionale Kinderschutzkonzeption, Seite 52, Kapitel 4.3)
Mehr Infos: Frühe Hilfen für Schwangere und Eltern mit Kindern bis 3 Jahre - AndErl
7.8 Kindertagespflege
Seit dem Jahr 2013 werden mit den Trägern der Kindertagespflege Schutzvereinbarungen im Sinne des § 8 a und b SGB VIII getroffen, bei denen die Vorgehensweise im Falle einer Gefährdung von Kindern in der Betreuung bei Kindertagespflegepersonen bzw. bei Verdacht auf eine Gefährdung des Kindeswohls im privaten bzw. familiären Umfeld festgelegt ist. Hier sind Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen innerhalb und außerhalb des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe genannt, die beratend und unterstützend die Kindertagespflegepersonen und die Fachberaterinnen und Fachberater bei den Trägern begleiten.
Seit dem Jahr 2023 müssen die Träger von Kindertagepflege in Familie und Großtagespflegen ein Schutzkonzept für Ihre Kindertagespflege vorlegen. In diesem sind nicht nur die Rechte der Kinder, die Gefährdungsmerkmale und der Ablauf im Falle einer Gefährdung festgelegt und mit allen Beteiligten besprochen. Hier wird auch ein Verhaltenscodex festgehalten, nach welchem in der jeweiligen Kindertagespflege oder Großtagespflegestelle gearbeitet wird. (Vorgaben für ein entsprechendes Schutzkonzept finden sich beim Institut für Frühpädagogik).
Seit dem Jahr 2024 muss jede Kindertagespflegeperson ein solches Schutzkonzept für ihre Kindertagesbetreuungsstelle vorweisen und laufend anpassen. Dies ist eine Voraussetzung für eine zu erteilende Pflegeerlaubnis. Die Schutzkonzeptionen müssen der Fachstelle beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe vorgelegt werden und werden entsprechend geprüft.
7.11 Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Entbindungspfleger
§ 4 KKG
Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger
(1) Werden Ärztinnen oder Ärzten, Zahnärztinnen oder Zahnärzten Hebammen oder Entbindungspflegern in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die Situation erörtern und soweit erforderlich, bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
(2) Die Personen nach Absatz 1 haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren.
(3) Scheidet eine Abwendung der Gefährdung nach Absatz 1 aus oder ist ein Vorgehen nach Absatz 1 erfolglos und halten die in Absatz 1 genannten Personen eine Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich, um eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen abzuwenden, so sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren; hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird. Zu diesem Zweck sind die Personen nach Satz 1 befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten mitzuteilen.
Mehr Infos: https://www.aerzteleitfaden.bayern.de/erkennen/gesundheitswesen.php
Siehe auch Kapitel 5.8 Zuständigkeiten ISEF und Verdacht auf Kindeswohlgefährdung (IseF)